Des Kaisers neue Kleider

Die Berliner Mitte wird seid ein paar Jahren von einer gewaltigen Baustelle dominiert: dem Berliner Stadtschloss. In seiner ursprünglichen Form 1442 von den Hohenzollern errichtet, dann über die Jahrhunderte permanent umgebaut, von Schlüter um 1700  barockisiert und mächtig erweitert, bis ihm schließlich Schinkel im späten 19. Jahrhundert die Kuppel und ein imposantes Nord-Portal verpasste. Nach der Flucht des Kaisers 1918 wurde hier die Republik ausgerufen, blieb dann in selbiger jedoch weitgehend unbenutzt, wurde schließlich im 2. Weltkrieg durch alliierte Bombentreffer schwer beschädigt und brannte im Februar 1945 schließlich vollständig aus. Stadtbaurat Hans Scharoun begann nach dem Krieg mit der Instandsetzung, doch in der neugegründeten DDR war der politische Wille gegen dieses mächtige Symbol des preußischen Staates so stark, dass es schließlich im Dezember 1950 gesprengt wurde. Als politisches Zeichen wurde genau an seiner Stelle der Palast der Republik errichtet. Der Triumph des Sozialismus über das untergegangene Preußen.

Nun trimphierte der Sozialismus bekanntlich nicht allzu lange. Nach dem Untergang der DDR diente der Palast noch eine Weile als kultureller Veranstaltungsort, doch war er nun wiederum der Bundesrepublik ein derartiger Dorn im Auge, dass man ihn trotz aufwendiger Asbestsanierung 2006 schließlich abriss. Es war ein wenig wie zwei kleine Kinder, die sich gegenseitig ihre Sandburgen kaputt machen. Anstatt nun aber einen internationalen Architekturwettbewerb auszuschreiben und ein großes visionäres Zeichen für die moderne und offene Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts zu setzen, beschloss der Deutsche Bundestag in völliger Ermangelung jeglicher Vision, das gute alte Stadtschloss einfach genau an der gleichen Stelle wieder zu errichten, in der Hoffnung, damit den Schlüter/Schinkelschen Geist widerzubeleben und über diesen die Berliner Mitte wieder zu alter Größe aufleben zu lassen. Pikanterweise bezahlt der Bund aber nur für den Rohbau. Die Stuckelemente der Fassade verkauft der „Freundeskreis Berliner Schloss“ über seinen Webshop („Das Schloss in Einzelteilen: vom Teibaustein für 50 Euro bis zum Kapitell für 179.900 Euro.“) Aktuell ist man bei ca. 45% der Fassade angelangt.

Leider mangelt es dem ganzen Schlossprojekt nicht nur an städtebaulicher Vision, sondern an der entscheidenden Idee, wozu man den Kasten denn nun eigentlich verwenden könnte. Auch wenn der eine oder andere Berliner sicher begeistert wäre, wenn die schneidigen Kürassiere wieder Unter den Linden herumritten und gelegentlich ein paar Kronprinzessinnen aus dem Fenster winkten, ist ein richtiger Kaiser im Moment leider nicht in Sicht. Statt dessen setzt man auf die Verbrämung des „Humboldt-Forums„, eine Art fachübergreifender Meta-Ausstellung in der die Ethnologie auf die Moderne treffen soll, garniert von Vorträgen, Studienarbeiten und allem möglichen wissenschaftlichen Brimborium. Die aktuell in Dahlem im ziemlich coolen Museum für Völkerkunde lagernden ethnologischen Sammlungen sollen den Kern des ganzen Geschwurbels bilden. Nun hat man sich jedoch zu spät für diese Idee entschieden und die Architekten den Innenausbau schon festgelegt, wodurch nun einige der Dahlemer Groß-Exponate wie etwa die Langboote nicht ins Schloss passen werden. Egal. Im Schloss sind dann eben also die kleinen und mittelgroßen Exponate und in Dahlem die großen. Es ist ein Glück, dass die Statuen der Humboldts vor der nahegelegenen Humboldt-Univerität stoisch geradeaus blicken und das nahegelegene Elend nicht mitansehen müssen.

Doch es gibt auch erfreuliches vom Schloss zu berichten: man ist ganz im Gegensatz zum internationalen Großflughafen BER nicht nur im Zeit- und Kostenrahmen geblieben, man hat sich auch zur Aufgabe gemacht, das Projekt „Schloss“ der Bevölkerung nahezubringen und dieses Jahr bereits die zweite Rohbaubegehung angesetzt. Wie immer wenn es etwas umsonst gibt, haben die Berliner diese Gelegenheit mit großer Begeisterung wahrgenommen und wenn ich die Stimmung unter der Bevölkerung richtig deute, fühlt man sich, jetzt wo das Schloss allmählich Gestalt annimmt, schon ein wenig erhabener. „Berlin ist das Schloss und das Schloss ist Berlin“, wie ich mir angesichts von mir sanft geäußerter Kritik anhören durfte. Nun wäre Berlin nicht Berlin, wenn sich nicht sofort eine sponti-mäßige Gegenbewegung gebildet hätte, die bereits jetzt eine Sammlung für den erneuten Abriss des neuerrichteten Schlosses veranstaltet. Angesichts der Barbarei des IS, der im Irak und in Syrien aktuell eine antike Stätte nach der anderen plattmacht, erscheint mit das jedoch als der falsche Schritt. Wenn die Berliner den ollen Kasten unbedingt wieder haben wollen, sollen sie doch mit ihm glücklich werden. Doch es ist schon erstaunlich, wie schnell mit dem Gebäude der alte Geist wieder aufsteht, der es einmal durchweht hat. Und es ist nicht wie erhofft der erhabene Geist von Schlüter und Schinkel, es ist der Geist des preußischen Militarismus, der schneidigen Offiziere und ihrer hübschen Damen, mit Säbel und poliertem Messing und feinen Manieren und allem, was dazu gehört. Da braucht es schon eine Menge Kanus und Tipis, um diesen Geist zu brechen.

Seht selbst: